Mark Kuster im Interview mit Wolfgang Ziegler

Wolfgang Ziegler arbeitet als Redakteur bei einer grossen deutschen Tageszeitung – unter anderem als Leiter des Reise- Ressorts. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Kuba und hat unter anderem den umfangreichsten deutschsprachigen Kuba-Reiseführer geschrieben. Im Gespräch mit Mark Kuster geht es um zwanzig Jahre Camaquito und weshalb er auch heute noch mit vollem Herzen Kinder in Kuba unterstützt.

Herr Kuster, 20 Jahre ist es nun her, seit Sie Camaquito gegründet haben – und Sie sind noch immer voller Begeisterung dabei. Woher nehmen Sie diese Energie?
Es gibt nichts Schöneres, als sich für andere Menschen – und vor allem für die Schwächsten der Gesellschaft – einzusetzen und dabei noch Spass zu haben. Deshalb engagiere ich mich noch immer jeden Tag voller Freude für kubanische Kinder und Jugendliche. Zudem schenkt mir Kuba schöne Momente. Camaquito ist für mich mehr als eine gemeinnützige Organisation. Camaquito ist einer meiner grossen Lebensinhalte.

Worauf sind Sie hinsichtlich Ihrer Einrichtung besonders stolz?
Camaquito ist nicht einfach nur eine «Organisation». Camaquito wird als «Philosophie» wahrgenommen. Es ist uns gelungen, Camaquito als führende private Hilfsorganisation für kubanische Kinder und Jugendliche zu etablieren. Wir haben es geschafft, die Bedürfnisse der Bevölkerung, die gesetzlichen Vorgaben der Behörden im Bereich der internationalen Zusammenarbeit, nachhaltige Projekte sowie die kubanische Lebensfreude zu vereinen. Camaquito wird gelebt!

Auch die Entwicklung unserer kubanischen Projektpartner macht mich stolz. Sie warten nicht einfach bis wieder eine Spende aus Europa kommt. Sie sind «hungrig» und «wissensfreudig». Da sehe ich wieder das große Potential in Kuba. Und zuletzt möchte ich all die Ehrenamtlichen erwähnen. Wir haben hervorragende Leute mit viel Fachwissen bei uns. Das fördert unsere Professionalität.

Trotzdem ist bestimmt nicht immer alles glatt gelaufen. Hatten Sie nicht auch mit der kubanischen Bürokratie zu kämpfen? Ist man dort seitens der Behörden und der Regierung nicht skeptisch gegenüber allem, was von aussen kommt?
Natürlich gab und wird es auch in Zukunft grosse Herausforderungen geben. Die Arbeitsprozesse in Kuba sind anders als bei uns in der Schweiz. In Kuba benötigt man für alles eine staatliche Bewilligung. Aber dies heisst nicht, dass es nicht funktionieren kann. Camaquito ist ein gutes Beispiel dafür. Es braucht aber vor allem viel Geduld, und entscheidend ist auch, ob man gewillt ist, unter den in Kuba vorhandenen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Ich habe Camaquito nicht gegründet, um in Kuba Gesetze zu ändern, sondern um unter den vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen. Ausländische Hilfe ist willkommen, aber sie wird genau unter die Lupe genommen, um zu schauen, was schlussendlich eine ausländische Organisation in Kuba bewirken möchte.

Was ist das grösste, was das kleinste, was Ihrer Meinung nach das wichtigste Projekt?
Die finanziell grösste Unterstützung bekam bis heute die Entbindungsklinik in Camagüey, wo jährlich 6500 Kinder geboren werden. Es ist die zweitgrösste Klinik dieser Art auf Kuba. Zusammen mit den kubanischen Behörden haben wir sie in mehreren Etappen renoviert. Auch werden dort weiterhin Unterhaltsarbeiten durchgeführt. Inzwischen hat Camaquito dafür USD 350‘000.- investiert.

Mit kleineren Beträgen wie z.B. mit jährlich USD 2‘000.- können wir eine kleine Gruppe von Kindern mit Behinderungen über ein Tanzprojekt am kulturellen Leben teilnehmen lassen. Unsere Projektstrategie ist sehr breit. Somit haben wir einen guten Überblick über die staatlichen Leistungen sowie die Bedürfnisse der Bevölkerung. Dies macht uns in Kuba einzigartig. Das wichtigste Projekt heisst «Camaquito». Dank der Gründung vor 20 Jahren konnten wir Tausende von Kindern unterstützen.

Was hat sich für Sie persönlich in den letzten Jahren am meisten verändert?
Vieles (lacht). Camaquito ist professioneller und internationaler geworden, gleichzeitig ist unsere Verantwortung gewachsen. Wir haben unsere Strukturen sowohl in Europa als auch in Kuba stetig verbessert. Unsere Philosophie «Spenden mit Genuss» ist unterdessen ein wichtiger Bestandteil und stösst auf sehr viel Akzeptanz. Auch Kuba hat sich verändert, z.B. die Arbeitsbedingungen im Bereich des Internets. In Kuba ist man «vernetzter». Und dann habe ich langjährige und wertvolle Erfahrungen und eine Familie mit zwei Kindern. All das hatte ich vor 20 Jahren noch nicht.

Kommen wir zu Kuba – was hat sich dort in den letzten 20 Jahren wesentlich verändert?
Über die letzten Jahre war / ist man seitens der kubanischen Regierung bestrebt, unter anderem auch wirtschaftliche Reformen voranzutreiben. Heute gibt es Möglichkeiten für Privatpersonen, ihr eigenes Kleinunternehmen aufzubauen, auch wenn dabei noch nicht immer optimale Rahmenbedingungen vorzufinden sind. Und der verbesserte Internetzugang hat die Ansprüche vor allem der jungen Generation wachsen lassen. Heute vergleicht man sich mehr mit dem Ausland – mit allen Vor- und Nachteilen. International gesehen wird Kuba inzwischen weniger beachtet als früher. Das hat sehr wahrscheinlich mit der fehlenden Führungsfigur Fidel Castro zu tun.

Bekommen Sie auch Unterstützung aus Ihrer deutschsprachigen Heimat und den Ländern, in denen Camaquito ebenfalls vertreten ist, also der Schweiz, Deutschland und Österreich?
Aus der Schweiz, Deutschland und Österreich kommen unsere Spendeneinnahmen, der grösste Teil aus meiner Heimat Schweiz. Aber auch die japanische Botschaft in Kuba hat uns schon mehrmals ihr Vertrauen geschenkt und uns finanziell bei einzelnen Projekten unterstützt. Und eine Gründung von Camaquito in Spanien und Kanada, um dort neue Spendenmärkte zu bewirtschaften, sind ebenfalls Schwerpunkte unserer Fundraisingstrategie.

Auch haben wir unterdessen Kubanerinnen und Kubaner in Europa, die sich aktiv ehrenamtlich bei Camaquito engagieren. Ohne politische Inhalte – einfach aus Liebe zu ihrem Land. Die im Ausland lebende Kuba-Community erachte ich als immer wichtiger und als grosses Potential für die Entwicklung Kubas.

Wie charakterisieren Sie das kubanische Volk?
Die Kubanerinnen und Kubaner sind für mich kein Volk, sondern eine Rasse – so einzigartig sehe ich sie! Solidarisch, kultiviert, charmant, innovativ und mit viel Durchhaltewille. Für mich hat Kuba immer noch grosses Potential, und ich bin überzeugt, dass Kuba ein Vorbild eines Gesellschaftmodells für Lateinamerika werden könnte.

Wie sieht dieses Modell aus?
Die sozialen Errungenschaften der kubanischen Revolution aufrechterhalten und wo notwendig verbessern. Der Solidaritätsgedanke in Kuba muss weitergelebt werden. Gleichzeitig der «Innovation» in der Wirtschaft mehr Möglichkeiten geben. Sei dies in staatlichen Unternehmen oder im Privatsektor. Der Wohlstand soll als Grundlage für soziale Gerechtigkeit angeschaut werden. Der Traum von der Harmonie zwischen «Wirtschaft» und «sozialer Gerechtigkeit» könnte in Kuba eines Tages Wirklichkeit sein. Aber es sind dafür noch grosse Anstrengungen zu machen. Das grosse Potential und Know-how der Kubaner*innen auf der Insel und im Ausland soll noch mehr genutzt werden.

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